Die Gulabi Gang unterstützt Dalit-Frauen dabei, für ihre Rechte einzustehen und Gerechtigkeit sowie Gleichbehandlung vor dem Gesetz einzufordern. Ausgestattet mit Bambusstöcken und gekleidet in pinkfarbene Saris nehmen sie das Recht in die eigenen Hände. Ihre Existenz ist ein deutliches Zeichen für das Versagen des indischen Staates, schutzbedürftige Frauen wirksam zu schützen. Trotz verfassungsrechtlicher Verbote ist die Diskriminierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit weiterhin weit verbreitet – bedingt durch tief verwurzelte religiöse und gesellschaftliche Strukturen. Dalit-Frauen stellen rund 90 % der Vergewaltigungsopfer in Indien.
Michael Thake
10. März 2025
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Jedes Jahr am 8. März begehen Millionen Menschen den Internationalen Frauentag (IWD), um die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Errungenschaften von Frauen zu würdigen – und gleichzeitig die dringende Notwendigkeit zu bekräftigen, Geschlechterbias, Stereotype und Diskriminierung zu bekämpfen. Das diesjährige Motto für 2025, „Accelerate Action“ – Handeln Beschleunigen– bringt die wachsende Frustration über stagnierende Fortschritte in der Gleichstellung der Geschlechter zum Ausdruck und betont den notwendigen Wandel – weg von bloßem Bewusstsein hin zu konkretem Handeln.
In jüngerer Zeit haben Solidaritätsbewegungen wie #MeToo, #TimesUp, #BalanceTonPorc und #NiUnaMenos eine beispiellose Welle an Frauen dazu ermutigt, offen über sexuelle Belästigung und Gewalt zu sprechen. Diese kollektiven Aufbrüche führten sowohl zu öffentlichem Druck als auch zu juristischen Maßnahmen – gegen strukturelle Ungleichheiten ebenso wie gegen die Täter selbst. Die Reaktionen darauf spielten sich größtenteils im Rahmen staatlicher Institutionen und rechtsstaatlicher Verfahren ab.
Die Gulabi Gang, bewaffnet mit Bambusstöcken (Lathis) und gekleidet in ihre charakteristischen pinkfarbenen Saris, erlangte internationale Aufmerksamkeit, indem sie das Recht buchstäblich in die eigenen Hände nahm – und sich damit sowohl Anerkennung als auch Kritik innerhalb Indiens einhandelte.
Gegründet wurde die Gulabi Gang im Jahr 2006 von Sampat Pal Devi in der Region Bundelkhand im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Sie entstand als Reaktion auf die weit verbreitete, systematische Gewalt gegen Frauen – insbesondere Dalit-Frauen – und das gleichzeitige Versagen staatlicher Institutionen, wirksam einzugreifen. Laut der Times of India zählen mittlerweile rund 400.000 Frauen im Alter zwischen 18 und 60 Jahren zur Bewegung. Viele von ihnen fühlen sich von den direkten, oft außergerichtlichen Methoden der Gruppe angezogen – in einem Rechtssystem, das für seine Langsamkeit und die Stigmatisierung von Opfern bekannt ist.
Der basisnahe Vigilantismus der Gruppe erregte landesweit Aufmerksamkeit und faszinierte die Öffentlichkeit – insbesondere mit dem Erscheinen der Bollywood-Verfilmung Gulaab Gang im Jahr 2014, die Indiens wachsende Sensibilität für Frauenrechte widerspiegelte. Doch wie die Forscherin Victoria Bui in Aletheia (2025) anmerkt, richteten sich feministische Bewegungen in Indien vor allem an gebildete Frauen aus der Mittelschicht – und schlossen damit Frauen aus, die am unteren Ende der Kastengesellschaft leben. Die Gulabi Gang stellt diesen Status quo in Frage und bietet insbesondere Dalit-Frauen eine Alternative, die im Mainstream-Aktivismus oft übersehen oder marginalisiert werden.
Die Mitglieder der Gulabi Gang unterstützen Frauen nicht nur mit legalen Mitteln – etwa durch die Gründung einer Schule in Banda oder Hilfe bei Anträgen auf staatliche Unterstützung für Analphabetinnen – sondern auch durch selbstorganisierte Aktionen, die als Vigilantismus gelten. Dazu gehören das öffentliche Bloßstellen von Tätern, die Konfrontation korrupter Beamter und der Einsatz von Gherao (Einkreisungsproteste). In einem Beitrag für das Fachjournal Feminism and Psychology (2009) schildern White & Rastogi einen Fall, bei dem lokale Behörden in Banda mehrere Familien zwei Wochen lang vom Stromnetz trennten, um Geld und sexuelle Gefälligkeiten zu erpressen. Die Gulabi Gang umstellte die verblüfften Beamten – und zwang sie mit ihrem entschlossenen Auftreten dazu, ihre kurzsichtige Erpressung zu überdenken und aufzugeben.
Vigilantismus ist ein umstrittenes Phänomen – oft zugleich Ausdruck schwacher staatlicher Institutionen und eine notwendige Form basisnaher Gerechtigkeit. Im Kern stellt Vigilantismus das staatliche Gewaltmonopol infrage, kann demokratische Strukturen untergraben und Spannungen mit den Behörden verschärfen – anstatt kooperative, nachhaltige Lösungen zu fördern. Bui betont jedoch, wie entscheidend schnelle Hilfe für Frauen in akuten Missbrauchssituationen ist. Die Gulabi Gang könne, so schreibt sie, „unbelastet von bürokratischen Verzögerungen … unmittelbar in laufende Übergriffe eingreifen – dort, wo lokale Behörden immer wieder versagen.“
Die Existenz der Gulabi Gang ist ebenso eine Anklage gegen das Versagen des indischen Staates, schutzbedürftige Frauen zu schützen, wie ein eindrucksvoller Beweis für die Widerstandskraft basisnaher Bewegungen. Trotz verfassungsrechtlicher Verbote ist die Diskriminierung aufgrund der Kaste weiterhin tief in religiösen und gesellschaftlichen Strukturen verankert. Wie National Geographic-Autorin Mayell hervorhebt, bleiben Dalits systematisch ausgeschlossen – ungeachtet gesetzlicher Maßnahmen wie dem Prohibition of Child Marriage Act von 2006 oder Indiens Ratifizierung der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW). Häusliche Gewalt, Kinderehen und Missbrauch im Zusammenhang mit Mitgiften sind nach wie vor weit verbreitet – und treffen Dalit-Frauen besonders hart.
Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP, 2021) sind Dalit-Familien in von multidimensionaler Armut betroffenen Gemeinschaften überproportional vertreten, leiden unter höheren Analphabetenraten und stellen 90 % der Vergewaltigungsopfer in Indien. Diese Überschneidung von wirtschaftlicher, sozialer und geschlechtsspezifischer Ausgrenzung – in Kombination mit staatlicher Untätigkeit – schafft ein System der Straflosigkeit, in dem rechtlicher Schutz kaum erreichbar ist.
Die Dokumentarfilmerin Nishtha Jain betonte 2017 in einer Fragerunde zu ihrem Film über die Gulabi Gang die tiefere Bedeutung der Bewegung, die über bloßen Aktivismus hinausgeht. Für viele der beteiligten Frauen, so Jain, gebe es im Alltag kaum individuelle Selbstbestimmung: „Ihr ganzes Leben lang richten sie sich nach den Bedürfnissen ihrer Eltern, ihres Ehemanns und später ihrer Kinder. Selbst wenn sie der Gulabi Gang nur beigetreten sind, um an einem Picknick teilzunehmen, haben sie etwas für sich selbst getan … und das ist enorm.“
Die Gulabi Gang bewegt sich an der Schnittstelle von Tradition und Moderne – in einem Umfeld, in dem gesetzlicher Schutz oft an tief verwurzelten kulturellen Normen scheitert. Ihre inklusive, vigilante Struktur ermöglicht weibliche Führung, schnelles Eingreifen und ein solidarisches Netzwerk von Unterstützerinnen. Auch wenn ihre Methoden umstritten sind, schließt die Gruppe eine Lücke, die ein System hinterlassen hat, das seine verletzlichsten Bürgerinnen immer wieder im Stich lässt.
Für westliche Beobachter ist die Gulabi Gang eine eindringliche Mahnung – sie zeigt auf, welche Folgen schwache demokratische, rechtsstaatliche und polizeiliche Strukturen haben können. Laut Freedom House (2024) erlebt die Welt bereits das 18. Jahr in Folge einen globalen Rückgang der Demokratie. Vor diesem Hintergrund verdeutlicht das Beispiel der Gulabi Gang, wie zentral starke Institutionen für den Schutz von Minderheiten- und Frauenrechten sind. Der Women, Peace and Security Index (2023/2024) stellt klar: Länder mit freien und fairen Wahlen, einer unabhängigen Zivilgesellschaft und rechenschaftspflichtigen Regierungen sind jene, in denen Frauen die besten Entwicklungsmöglichkeiten haben. Die Lehre daraus ist unmissverständlich: Wenn staatliche Rechtssysteme ihre Schutzfunktion nicht erfüllen, werden alternative Formen von Gerechtigkeit unweigerlich entstehen.
Bild: Indien, Uttar Pradesh, Bundelkhand – Frauen der Gulabi Gang in pinkfarbenen Saris demonstrieren in Mahoba für Frauenrechte und gegen männliche Gewalt, Korruption sowie polizeiliche Willkür. Die Bewegung ist vor allem in ländlichen Regionen aktiv. © IMAGO / Joerg Boethling
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