Operation Midas – der explosive Korruptionsskandal dieses Herbstes mit einem Volumen von 100 Millionen US-Dollar – ist längst mehr als eine innenpolitische Krise. Er fällt in einen entscheidenden Moment des russisch-ukrainischen Krieges und überschneidet sich mit den festgefahrenen Friedensverhandlungen. Mit Andrij Jermak ist nun Selenskyjs engster Berater und politisches Alter Ego wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten. Das hat die Regierung des Präsidenten erheblich geschwächt. Zunehmend wird infrage gestellt, ob Selenskyjs Regierung unter den Bedingungen des Krieges und angesichts eines sich weiter ausbreitenden Netzes von Korruptionsskandalen innerhalb der ukrainischen politischen Elite überhaupt überlebensfähig ist.

Der Rücktritt von Andrij Jermak, dem Chef des ukrainischen Präsidialamts, wegen Korruptionsvorwürfen kommt für Präsident Wolodymyr Selenskyj zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Jermak war der wichtigste Verhandlungsführer der Ukraine und trat zurück, nachdem Anti-Korruptionsbehörden sein Wohnhaus durchsucht hatten. Zugleich galt Jermak während des russischen Angriffskrieges als Selenskyjs einflussreichster Berater und verfügte über erhebliche politische Macht. Der frühere Filmproduzent zählte laut Time Magazine zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt.

Jermak gilt als Selenskyjs engster Vertrauter und arbeitete bereits während dessen Präsidentschaftskampagne an seiner Seite. Er fungierte als zentrale Schnittstelle zwischen Selenskyj und Präsident Trump und handelte laut einem Bericht der Financial Times aus dem Jahr 2024 häufig mit faktischer präsidialer Autorität. „Unter Ukrainer[Innen] ebenso wie unter ausländischen Staats- und Regierungschefs sowie Diplomaten ist er eine Figur von enormem, zugleich polarisierendem Einfluss“, heißt es dort. Kritiker werfen Jermak vor, demokratische Kontrollmechanismen ausgehöhlt zu haben.Die Kyiv Independent berichtete unter Berufung auf Regierungsvertreter, Jermak sei in den politischen Eliten der USA und der EU auf deutliche Vorbehalte gestoßen. In der Ukraine selbst sei sein Ruf „noch schlechter“ gewesen.

Auch wenn gegen Jermak bislang keine formelle Anklage erhoben wurde, schadet seine Nähe sowohl zum Unternehmer Tymur Mindich als auch zum Präsidenten der Glaubwürdigkeit der Ukraine erheblich. Die Frage drängt sich auf, wie lange Selenskyj noch vermeiden kann, selbst in den Strudel des Korruptionsskandals hineingezogen zu werden.

Der Herbst 2025 ist in der Ukraine von einem Korruptionsskandal von außergewöhnlicher Tragweite geprägt, in den Minister und enge Vertraute von Präsident Wolodymyr Selenskyj verwickelt sind. Schätzungen zufolge wurden rund 100 Millionen US-Dollar veruntreut – ein Ausmaß, das eine neue Welle politischer Erschütterungen und öffentlichen Zorns ausgelöst hat. Der Skandal ist rasch zu einer Belastungsprobe für die ukrainische Kriegsführung und für den Anspruch der Regierung geworden, systemische Korruption konsequent zu bekämpfen. Noch vor dem Paukenschlag von Jermaks Rücktritt waren bereits mehrere hochrangige Regierungsmitglieder zum Rückzug gezwungen. Darunter Justizminister German Galuschtschenko, der von 2021 bis 2025 das Energieministerium geführt hatte, sowie seine Nachfolgerin, Energieministerin Switlana Hrynchuk. Beide traten im Zuge der Korruptionsaffäre zurück, die inzwischen weite Teile der ukrainischen Regierung erfasst hat.

Eine weitere zentrale Figur in dem Fall ist der Unternehmer Tymur Mindich, ein langjähriger Vertrauter von Präsident Selenskyj. Ukrainische Ermittler werfen Mindich vor, seine persönlichen Kontakte genutzt zu haben, um von Auftragnehmern des staatlichen Atomkonzerns Enerhoatom illegale Zahlungen zu erpressen. Enerhoatom ist der wichtigste Betreiber der ukrainischen Kernkraftwerke. Die Ermittlungen, die öffentlich unter dem Namen Operation Midas bekannt wurden, wurden bereits im vergangenen Jahr vom Nationalen Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) und der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAPO) eingeleitet.

Operation Midas zählt seit Beginn des Krieges im Jahr 2022 zu den aufsehenerregendsten Antikorruptionsermittlungen in der Ukraine. Nach Angaben des NABU sollen Auftragnehmer unter Druck gesetzt worden sein, im Gegenzug für staatliche Aufträge Schmiergelder in Höhe von zehn bis 15 Prozent zu zahlen. Am 10. November 2025 soll Mindich die Ukraine in Richtung Israel verlassen haben. Am selben Tag führte das Nationale Antikorruptionsbüro umfangreiche Durchsuchungen an mehr als 70 Orten durch, darunter auch in Mindichs Wohnsitz.

Die Krise trifft die Ukraine in einem entscheidenden Moment, in dem das Land stets bemüht war, seinen Weg in Richtung Demokratie sichtbar zu machen. Trotz des andauernden Krieges hat die Ukraine auf internationalen Korruptionsindizes zwar erkennbare, wenn auch langsame Fortschritte erzielt. Im Korruptionswahrnehmungsindex 2024 von Transparency International belegte das Land Rang 105 von 180 Staaten – eine leichte Verbesserung gegenüber Platz 117 im Jahr 2020.

Als Selenskyj und Jermak im Sommer 2025 ein Gesetz unterstützten, das die Ernennung eines politisch eingesetzten Generalstaatsanwalts für NABU und SAPO vorsah, sah sich der Präsident mit erheblichen Protesten konfrontiert. Die Demonstrationen gingen als sogenannte „Kartonproteste“ in die Öffentlichkeit ein – benannt nach den handgemalten Pappschildern der Demonstrierenden. Hunderte UkrainerInnen protestierten gegen die Gesetzesinitiative, die faktisch die Unabhängigkeit des Nationalen Antikorruptionsbüros und der spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft beschnitten hätte. Nach massivem innenpolitischem Druck und internationalen Warnungen unterzeichnete Präsident Selenskyj schließlich ein neues Gesetz, das die vollständige Autonomie der beiden Behörden wiederherstellte (vgl. iGlobeNews-Artikel “Volodymyr Zelensky’s Second Front: Ukraine’s Corruption”, 4. April 2024 ).

Kyjiws Anspruch, einen glaubwürdigen Kampf gegen Korruption aufrechtzuerhalten, ist unter der derzeitigen intensiven Beobachtung durch westliche Partner von besonderer Bedeutung – nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Bestreben der Ukraine, der Europäischen Union beizutreten. Am 13. November äußerte sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán auf der Plattform X zur Ukraine mit den Worten: „Das ist das Chaos, in das die Brüsseler Elite das Geld der europäischen Steuerzahler pumpen will ; wo alles, was nicht an der Front verschossen wird, in den Taschen der Kriegsmafia landet. Wahnsinn.“ Solche Aussagen erhöhen den Druck auf Präsident Selenskyj zusätzlich. Er muss nicht nur entschlossen gegen Missstände vorgehen, sondern auch sichtbar, transparent und glaubwürdig handeln.

Gerade an diesem Punkt ist Kyjiws Position im existenziellen Kampf gegen Russland zunehmend fragil geworden. Jahre des Krieges haben das Land in eine starke Abhängigkeit von westlicher Unterstützung geführt. Die Ukraine leidet unter einem Mangel an Soldaten, der enormen finanziellen Belastung des Krieges und den gravierenden Folgen für die Zivilbevölkerung. Deutlich ist inzwischen, dass die Ukraine vollständig auf einen anhaltenden Zufluss militärischer und finanzieller Hilfe aus dem Westen angewiesen ist, insbesondere aus den Vereinigten Staaten.

Für einen Kriegspräsidenten, der ohnehin aus einer Position der Abhängigkeit heraus verhandelt, ist die Korruptionskrise ein schwerer Schlag. Die öffentliche Unterstützung für den Krieg in und um die Ukraine nimmt ab; eine Mehrheit der UkrainerInnen spricht sich inzwischen für ein Ende des Krieges mit Russland aus. Berichte über massive Korruption innerhalb der ukrainischen Regierung erschweren es zugleich den politischen Führungen in der Europäischen Union zunehmend, Selenskyjs Regierung weiterhin vorbehaltlos zu unterstützen.

Während Kyjiw versucht, ein endgültiges Abkommen auszuhandeln, das seine Souveränität vollständig wahrt, kommt Operation Midas zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Der Skandal schränkt Selenskyjs Handlungsspielraum gegenüber dem Druck aus den USA und den dort diskutierten Friedensplänen mit Russland erheblich ein. Damit verschafft er jenen Kräften einen diplomatischen Vorteil, die auf eine rasche Deeskalation und ein Ende des Krieges drängen – selbst um den Preis erheblicher territorialer und politischer Zugeständnisse.

Militärisch gerät die Ukraine zunehmend unter Druck. Der Korruptionsskandal verschärft die Lage für Präsident Selenskyj zusätzlich. Der türkische staatliche Rundfunk TRT berichtete am 28. November 2025, Experten wiesen darauf hin, dass Präsident Trump und seine Verbündeten befürchteten, Selenskyj selbst könnte in das Korruptionsgeflecht hineingezogen werden. Dies könne „interne Auseinandersetzungen zwischen Militär und politischer Elite auslösen“.

Für die Ukraine wurde das Bessere zum Feind des Guten, wodurch sich ihre Optionen weiter verengt haben.

Bild: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj berät am 22. Juli 2025 in Kyjiw mit dem Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Rustem Umjerow, sowie dem Leiter des Präsidialamts, Andrij Jermak, über die laufenden Friedensverhandlungen. © IMAGO / Anadolu Agency

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