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Am 1. Juli 2023 startet die Europäische Weltraumorganisation (ESA) erfolgreich das Weltraumteleskop Euclid an Bord einer SpaceX-Rakete. In 1,5 Millionen Kilometern Entfernung zur Erde kreist Euclid nun für sechs Jahre um uns – mit dem Ziel, zwei der tiefgreifendsten Rätsel der modernen Kosmologie zu entschlüsseln: Dunkle Materie und Dunkle Energie.

Dunkle Materie und Dunkle Energie machen zusammen den überwältigenden Großteil des Universums aus – rund 92 Prozent seines gesamten Inhalts. Etwa 27 Prozent entfallen auf die Dunkle Materie, rund 65 Prozent auf die Dunkle Energie. Der uns vertraute, sichtbare Anteil der Materie bildet lediglich einen Bruchteil. Zwar entziehen sich beide bislang jeder direkten Beobachtung, ihre Auswirkungen aber sind unübersehbar: Nach gängiger Theorie treibt die Dunkle Energie die beschleunigte Ausdehnung des Universums voran – schneller, als es bekannte physikalische Gesetze erlauben würden. Die Dunkle Materie hingegen beeinflusst maßgeblich die Form und Struktur des Kosmos – als eine Art unsichtbarer Kitt, der durch gewaltige Gravitationskräfte alles zusammenhält.

Dunkle Materie ist eine Form von Masse, die sich nicht direkt beobachten lässt – sie sendet kein Licht aus, absorbiert es nicht und reflektiert es auch nicht. Doch sie verrät sich durch ihre Schwerkraft: Wie jede Form von Masse und Energie erzeugt sie ein Gravitationsfeld und beeinflusst damit die Bewegungen von Sternen, Galaxien und selbst von Licht. Die Existenz entsprechender Massen kann mithilfe des Gravitationslinseneffekts nachgewiesen werden. Forschende beobachten dabei, ob sich Licht an einer bestimmten Stelle im Raum krümmt – genau dort, wo eine Masse vorhanden ist oder vermutet wird. Wird eine solche Lichtkrümmung festgestellt, lässt sich daraus schließen, dass sich an dieser Stelle tatsächlich Masse – sichtbar oder unsichtbar – befindet, die das Licht abgelenkt hat.

Erstmals wurde die Existenz Dunkler Materie in den 1930er-Jahren vom Schweizer Astronomen Fritz Zwicky hypothetisiert. Zwicky beobachtete, dass sich die Galaxien im Coma-Galaxienhaufen (rund 223 Millionen Lichtjahre entfernt) schneller voneinander entfernten, als es die Schwerkraft der sichtbaren Materie es zulassen würde. Das deutete auf eine zusätzliche, unsichtbare Masse hin, die durch ihre Gravitation Einfluss nahm.

Dunkle Energie scheint noch rätselhafter als Dunkle Materie. Während die Gravitation Materie zusammenzieht, scheint Dunkle Energie als eine Art Gegenkraft zu wirken die Masse, Raum und Zeit auseinander zu treiben scheint.

Die Entdeckung gelang Ende der 1990er-Jahre, als Astronomen bei der Beobachtung entfernter Supernovae feststellten, dass sich die Ausdehnung des Universums – entgegen aller Erwartungen – nicht mit der Zeit verlangsamte. Stattdessen entfernen sich die Galaxien immer schneller voneinander. Nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie und unserem bisherigen Verständnis vom Verhalten der Materie im Kosmos müsste die gegenseitige Gravitation der Galaxien eigentlich bremsend wirken – doch genau das geschieht nicht. Die Erkenntnis war derart überraschend und bedeutend, dass sie 2011 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde.

Die heute am weitesten verbreitete Erklärung lautet, dass Dunkle Energie eine Eigenschaft des Raums selbst ist – eine Form von Vakuumenergie, die mit der Ausdehnung des Universums zunimmt. Anders als Materie verdünnt sich Dunkle Energie nicht, wenn das All wächst. Stattdessen bleibt ihre „Konzentration“, also ihre Dichte, konstant – und ihr Einfluss auf das Universum wird mit der Zeit immer dominanter.

Einige Hypothesen deuten darauf hin, dass Dunkle Energie ein Hinweis darauf sein könnte, dass Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie auf den größten kosmischen Skalen nicht uneingeschränkt gilt. Zwar beschreibt die Theorie die Gravitation innerhalb von Galaxien und Sonnensystemen sehr genau – doch womöglich reicht sie nicht aus, um das Verhalten des Raums im gesamten Universum zu erklären. Dunkle Energie wäre demnach nicht nur eine neue „Substanz“, sondern ein Symptom unseres unvollständigen Verständnisses der Schwerkraft. Manche Ansätze vermuten zusätzliche Dimensionen oder bislang unbekannte physikalische Kräfte. Je nach Theorie ergeben sich daraus ganz unterschiedliche Prognosen für die Zukunft des Universums.

Denn auch die Geometrie unseres Universums könnte durch die Dunkle Energie beeinflusst werden. Sollte sie weiterhin eine beschleunigte Ausdehnung vorantreiben, spräche das für ein „offenes“ Universum – eines, das sich ewig weiter ausdehnt. Ein „geschlossenes“ Universum hingegen, vergleichbar mit einer Schleife oder Kugel, ließe auf eine spätere Umkehr der Expansion und womöglich auf einen Kollaps schließen. Die präzisen Messungen von Galaxien und kosmischen Strukturen durch Euclid sollen helfen, diese Szenarien zu nun überprüfen.

Shape of the Universe

Die Grafik veranschaulicht zwei mögliche Formen des Universums – abhängig von seiner Geometrie und dem Einfluss der Dunklen Energie. Oben ist ein geschlossenes, kugelförmiges Universum dargestellt, bei dem sich der Raum wie die Oberfläche einer Kugel nach innen krümmt. Ein solches Universum könnte seine Expansion eines Tages beenden und wieder in sich zusammenfallen. Darunter sieht man ein offenes, sattelförmiges Universum, in dem sich der Raum nach außen krümmt – und das sich unaufhörlich weiter ausdehnen würde. Ziel der Euclid-Mission ist es, die Verteilung von Galaxien und kosmischen Strukturen so präzise wie möglich zu kartieren, um so herauszufinden, welche dieser Geometrien der wahren Natur unseres Kosmos am nächsten kommt.

Grafik: NASA, https://wmap.gsfc.nasa.gov/media/990006/990006_2048.jpg

Trotz aller bisherigen Daten können Wissenschaftler noch immer nicht mit Sicherheit sagen, worum es sich bei Dunkler Materie und Dunkler Energie eigentlich handelt. Beide Begriffe stehen bislang nur als Platzhalter für etwas, das wir zwar beobachten, aber noch nicht begreifen – ein Hinweis auf die Grenzen der heutigen Physik. Genau hier setzt die Mission Euclid an: Mit hochaufgelösten Daten zur großräumigen Struktur des Kosmos könnte sie dazu beitragen, die möglichen Erklärungen einzugrenzen – und zu klären, ob es sich um bislang unentdeckte Substanzen handelt oder um ein Zeichen dafür, dass unser grundlegendes Verständnis von Gravitation und Raum einer Revision bedarf.

Euclid ist mit einem Teleskop mit einer 1,2-Meter-Linse und zwei Instrumenten ausgestattet. Das VIS (Visible Imager) liefert hochauflösende Aufnahmen im sichtbaren Licht und spürt dabei den Gravitationslinseneffekte auf. Das NISP (Near Infrared Spectrometer and Photometer) misst mithilfe von Spektroskopie das Verhalten und die Bewegung entfernter Galaxien, indem es deren Licht in verschiedenen Wellenlängen erfasst. Zudem kann es durch kosmischen Staub „hindurchsehen“ und so weit entfernte Galaxien sichtbar machen. Gemeinsam erlauben diese Instrumente Euclid, eine detaillierte 3D-Karte von etwa einem Drittel des Universums zu erstellen – bis zu zehn Milliarden Lichtjahre in die Vergangenheit. Obwohl es sich um eine ESA-Mission handelt, ist Euclid das Ergebnis einer weltweiten Zusammenarbeit von Hunderten Forschungseinrichtungen. Die Mission wird gewaltige Datenmengen liefern, die von Tausenden WissenschaftlerInnen ausgewertet werden.

Während die Euclid Mission voranschreitet, könnten die gewonnenen Daten entweder unsere bisherigen Vorstellungen vom Universum bestätigen, oder sie grundlegend infrage stellen. Sollten sich dabei Lücken in den bestehenden physikalischen Modellen zeigen, könnten diese auf neue Teilchen, Kräfte oder sogar alternative Gravitationstheorien hindeuten – und damit womöglich auch auf noch nicht angedachte, neue, Dimensionen. Euclid wird nicht alle Antworten liefern. Doch indem die Mission hilft die entscheidenden Fragen präziser zu stellt, bringt sie uns einen Schritt näher an das Verständnis dessen, was das Universum zusammenhält, was es auseinanderdrängt – und wohin es sich entwickelt.

Bild: Das Weltraumteleskop Euclid, in 1,5 Millionen Kilometern Entfernung von der Erde, bei der Aufnahme von Bildern des Universums.
Quelle: ESA https://www.esa.int/Science_Exploration/Space_Science/Euclid/How_to_watch_the_reveal_of_Euclid_s_first_images_live

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