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Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland und der Krieg Israels gegen den Gazastreifen verändert das globale Gleichgewicht der Kräfte. Die USA können nicht länger der Hegemon der Welt bleiben. Eine neue multipolare Ordnung ist im Entstehen begriffen. Russland, China und möglicherweise andere globale Akteure wie Indien, Brasilien, die Türkei und der Iran werden sich die Rolle teilen, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vom Hegemon USA eingenommen wurde. Die eindeutige Unterstützung Israels durch den Westen und seine sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA im Rahmen der NATO haben die internationale Rolle und die sicherheitspolitischen Optionen der meisten europäischen Staaten – insbesondere des Vereinigten Königreichs und Deutschlands – bestimmt.

Zwei Jahre nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine befindet sich die Welt in Unordnung. Eine Welt in Unordnung strebt nach einer neuen Ordnung, eben um diese unerträgliche Unordnung einer neuen Stabilität und Vorhersehbarkeit zuzuführen. Derzeit wird allenthalben viel darüber diskutiert, dass die Zeit, da die USA die Welt als mit Abstand stärkste Macht beherrschten, zu Ende gegangen sei und die Welt nun in eine Phase der Multipolarität übergeht.

Dabei werden verschiedene Vorstellungen artikuliert: Das Land, in dem am meisten von Multipolarität gesprochen wird, ist Russland. Russland versteht dabei unter Multipolarität eine Weltordnung, in der mindestens drei Großmächte das Sagen haben. China wiederum schwankt zwischen zwei Möglichkeiten. Wenn Xi Jinping nach Moskau reist, einigt er sich mit Putin darüber, dass die Weltordnung im Sinne der Multipolarität umdefiniert werden muss. Wenn er sich aber, wie unlängst in San Francisco, mit Joe Biden trifft, betont er, die Welt könne nur in der Zusammenarbeit zwischen China und den USA ihre Ordnung und Stabilität wiederfinden und hat dabei wohl eher eine bipolare Ordnung vor Augen.

Eine weitere Variante auf die Idee der Multipolarität wird von jenen Ländern vorgetragen, die für sich hoffen, im Zuge der Neuordnung der Welt zusätzlich zu den drei Großmächten einen Platz am Tisch der Multipolarität ergattern zu können, so z.B. Indien, aber auch die Türkei, Brasilien, der Iran, um nur einige der Kandidaten zu nennen. Europa und Japan, in früheren Zeiten wie selbstverständlich als Pole in einer multipolaren Ordnung angesehen, werden nun nicht mehr mit einem Stammplatz unter den mächtigsten Ländern der Welt aufgezählt. Das hat mit ihrer mangelnden militärischen Stärke, ihren wirtschaftlichen Problemen und ihrer von manchen als „vasallenhaft“ kritisierten engen Zusammenarbeit mit den USA zu tun.

Ob die derzeit zu beobachtenden Bemühungen, im Vorgriff auf eine eventuelle Änderung an der politischen Spitze der USA die Hauptlast der Unterstützung der Ukraine zu übernehmen, einen Einfluss auf die Position Europas in der zukünftigen multipolaren Ordnung ausüben wird und Europa damit wieder einen bedeutenden Platz im Weltgeschehen wird einnehmen können, ist derzeit noch nicht absehbar.

Bei der Rivalität unter den drei Nuklearmächten USA, China und Russland geht es darum, zu ermitteln, wer der drei Mächte innerhalb des strategischen Dreiecks die Handlungen der beiden anderen Rivalen maßgeblich beeinflussen kann. Sie wird auf ökonomischem, technologisch-wissenschaftlichem und militärischem Gebiet ausgetragen, auch weil man vermeiden möchte, dass es zu einem Krieg der Nuklearmächte unter einander und das heißt zu einem nuklearen Weltkrieg kommt.

Meint man jedoch auf militärische Mittel nicht verzichten zu können, kommt es wie in der Ukraine zu einer Auseinandersetzung auf einem dritten Territorium. In diesem Krieg ist Russland als eine der drei großen Nuklearmächte direkt als Angreifer beteiligt, während die USA offen im Hintergrund agiert und China als potentieller Moderator indirekt Einfluss ausübt.

In Ostasien stehen zwei Territorien für einen derartigen Stellvertreterkrieg zur Verfügung. Hier könnte ein militärischer Angriff der VR China gegen Taiwan eine der Ukraine in dieser Hinsicht vergleichbare Situation entstehen lassen. Allerdings gibt es hier eine Beistandspflicht der USA gegenüber Taiwan und damit das Risiko einer militärischen Konfrontation zwischen zwei der drei Nuklearmächte. Unter anderem aus diesem Grund haben sich die VR China und die USA auf dem letzten Treffen zwischen Joe Biden und Xi Jinping in San Francisco im November 2023 darauf geeinigt, den Status Quo in Taiwan nicht in Frage zu stellen.

Der zweite Ort ist Nordkorea. Die Tatsache, dass die nordkoreanische Verfassung kürzlich dahingehend geändert wurde, dass die Wiedervereinigung nicht länger angestrebt wird, macht den Weg frei für einen Angriff Nordkoreas auf Südkorea. Dieser muss von den USA als Angriff auf die USA verstanden werden, wenn er Gebiete betrifft, in denen amerikanische Soldaten stationiert sind. Kim Yong Un hat damit den Schlüssel in der Hand, in Ostasien eine kriegerische Auseinandersetzung zu entfachen, die ein direktes Engagement der USA verlangt. Er durchkreuzt damit das Kalkül der USA und der VR China, die Konfliktherde so zu managen, dass die beiden Großmächte über Krieg und Frieden in Ostasien entscheiden.

Die mit Hilfe Russlands beschleunigte Aufrüstung in Nordkorea macht einen nuklearen Angriff auf in Südkorea stationierte amerikanische Truppen möglich. An einen solchen Angriff wäre z.B. zu denken, wenn es in Europa zu einer Ausweitung des Krieges auf NATO-Territorium käme. Die USA als auch China werden unter Zugzwang gesetzt, verfügt Russland doch über eine zusätzliche Möglichkeit, den USA einen Zweifrontenkrieg aufzuzwingen.

Wir werden aber noch mehr Kriege wie derzeit im Nahen Osten sehen, die deshalb entstehen, weil die USA in ihrem augenblicklich noch angenommen Status als Welthegemon unter Überbeanspruchung leiden und deshalb nicht in der Lage sind, als „Weltpolizist“ überall, wo ein Konflikt ausbricht, einzugreifen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen am Rande Russlands zeigen, dass nicht nur die USA von diesem Problem betroffen sind. China wird gerade von Aufständischen an der Grenze zu Myanmar herausgefordert.

Die Multipolarität ist also bereits existent, aber noch in einer Übergangsphase befindlich. Ob die trianguläre Multipolarität sich dabei durchsetzen wird oder eine andere Form, ist derzeit noch nicht abzusehen. Eine Multipolarität mit mehr als drei Akteuren hat Nachteile, weil sie viele, vor allem wechselnde, Bündnisse ermöglicht. Die Multipolarität eröffnet viele Möglichkeiten, sie ist aber, wie wir aus der Geschichte der Entwicklung hin zum 1.Weltkrieg wissen, mit vielen Risiken belastet und keineswegs per se ein Mittel der Kriegsvermeidung. Die Welt sucht jetzt nach einer neuen Ordnung aus der Unordnung heraus.

Bild: Neue Welt (Un)Ordnung © iGlobenews / AI image
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