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Die Nutzung nuklearer Abfälle für die Energieerzeugung erweist sich als potenzieller Durchbruch sowohl bei der Abfallentsorgung als auch bei der nachhaltigen Energiegewinnung. Die Technologie des Neutronenbeschusses stellt eine Methode dar, um Energie aus abgebrannten Kernbrennstoffen zu gewinnen und gleichzeitig deren Radioaktivität sowie Halbwertszeit drastisch zu reduzieren. Eine neue Studie der deutschen Bundesagentur für Disruptive Innovationen (SPRIND) und des Betreibers TRANSMUTEX schlägt einen schlüssigen Weg für den Einsatz dieser Technologie in stillgelegten deutschen Kernkraftwerken vor. Die praktische Umsetzung steht jedoch vor technologischen, wirtschaftlichen und regulatorischen Hürden – insbesondere im Zusammenhang mit den Kontrollen und Sicherheitsvorkehrungen der Internationalen Atomenergiebehörde der Vereinten Nationen (IAEA).

Das Ziel einer neuen Studie der deutschen Bundesagentur für Disruptive Innovationen (SPRIND) in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Anlagenbetreiber TRANSMUTEX besteht darin, die Halbwertszeit und Radioaktivität abgebrannter Kernbrennstoffe zu verringern und gleichzeitig nutzbare Wärmeenergie aus dem Prozess zu gewinnen. Die Studie schlägt vor, die Accelerator-Driven-System-(ADS)-Technologie für die nukleare Transmutation zu nutzen – ein Verfahren, bei dem radioaktive Isotope mit Neutronen beschossen und so in weniger gefährliche neue Materialien umgewandelt werden. Der Prozess beschleunigt den Zerfall radioaktiver Elemente erheblich, da das Abfallmaterial durch die Absorption eines Neutrons instabiler wird und nacheinander in zwei neue Elemente zerfällt. Es ist erwiesen, dass diese neuen Elemente eine deutlich geringere Halbwertszeit und Radiotoxizität aufweisen. Gleichzeitig kann die durch den beschleunigten Zerfall erzeugte Wärme für andere Anwendungen genutzt werden.

So kann beispielsweise die Halbwertszeit des hochgradig radiotoxischen Plutonium-239 von etwa 24.000 Jahren auf bis zu 100 Jahre reduziert werden. In ähnlicher Weise lässt sich Neptunium-237, dessen Halbwertszeit bei rund 2,1 Millionen Jahren liegt, in Elemente mit einer Halbwertszeit von etwa 1.000 Jahren umwandeln. In beiden Fällen wird die Radiotoxizität um 99 bis 99,95 % verringert, da die entstehenden Elemente wesentlich stabiler sind. Dies gilt auch für andere Abfallprodukte und deren stabilere Zerfallsprodukte, die bei der Transmutation entstehen – sogenannte Produktelemente. Im Allgemeinen handelt es sich bei instabilen Elementen um solche, die radioaktiv sind, da ihr natürlicher Zerfall Alpha-, Beta- oder Gammastrahlung freisetzt.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Kernreaktoren arbeitet die ADS-Technologie mit einem Teilchenbeschleuniger, der hochenergetische Protonen auf ein Zielmaterial – in der Regel Blei oder Wismut – lenkt. Diese Wechselwirkung erzeugt eine Kaskade von Neutronen, die die Transmutationsreaktion in Gang setzt. Da ADS unterkritisch ist und daher – anders als ein konventioneller Kernreaktor – keine eigenständige Kettenreaktion aufrechterhalten kann, gilt es als von Natur aus sicherer als herkömmliche Kernkraftwerke (AKW). Wird die Neutronenquelle abgeschaltet, kommen Reaktion und Wärmeerzeugung sofort zum Stillstand, wodurch das Risiko einer Kernschmelze vermieden wird.

Der Transmutationsprozess erzeugt eine beträchtliche Nachzerfallswärme von etwa 100 °C, die prinzipiell ideal für Heizungsanwendungen geeignet ist, jedoch nicht ausreicht, um Strom zu erzeugen. Die ADS-Technologie könnte daher ein vielversprechender Ansatz speziell für die Fernwärmeversorgung sein. In der SPRIND-Studie wird ihr Einsatz an stillgelegten deutschen AKW-Standorten vorgeschlagen – unter Nutzung der vorhandenen Übertragungsleitungen, Kühlsysteme und Sicherheitsmaßnahmen, wodurch die Anfangskosten um etwa 30 % gesenkt werden könnten.

Die Studie schätzt, dass ADS zu einem Preis von 25–40 €/MWh wettbewerbsfähige Wärme liefern könnte und damit eine praktikable Alternative zur Heizung mit fossilen Brennstoffen darstellen würde. Zum Vergleich: Ein deutscher Haushalt verbraucht zwischen 0,13 und 0,15 MWh Wärmeenergie pro Quadratmeter und Jahr. Zwar wird in der Studie nicht angegeben, wie viele Haushalte versorgt werden könnten, jedoch wird darauf hingewiesen, dass jede eingesetzte Energieeinheit bis zu drei Wärmeeinheiten liefert.

Die hohen Vorlaufkosten von 1 bis 7 Mrd. EUR pro Anlage stellen jedoch eine wesentliche anfängliche Herausforderung dar. Auch wenn die ADS-Wärmepreise wettbewerbsfähig werden könnten, ist der Energieverkauf allein nicht die Haupteinnahmequelle. Der finanzielle Erfolg der Technologie – und ihrer wirtschaftlich konkurrenzfähigen Wärmeenergie – hängt von der Gewinnung und dem Verkauf seltener Produktelemente aus der Transmutation ab. Diese Materialien sind derzeit von entscheidender Bedeutung für die Hochtechnologiebranche sowie für die Krebsbehandlung und -forschung. Trotz der Unsicherheit bei den Preisen seltener Elemente zeigt die Studie, dass sich die ADS-Fernwärme unter stabilen Marktbedingungen für diese Materialien als tragfähiger Ersatz für konventionelle Heizsysteme etablieren könnte.

Nutzbare Wärme aus der ADS-Technologie unterstützt die Bemühungen zur Dekarbonisierung. Die Energiegewinnung durch die Beseitigung radioaktiver Abfälle ist ein zusätzlicher Vorteil eines Verfahrens, das die generationenübergreifende Abfallbelastung erheblich reduzieren könnte. Sollte die heutige Gesellschaft weiterhin auf konventionelle Kernenergie setzen, könnte ADS zu einer Schlüsseltechnologie werden, um das Dilemma der Lagerung abgebrannter Brennelemente und der nuklearen Abfallentsorgung, das klassische AKW mit sich bringen, zu lösen.

Das Grundkonzept von ADS ist nicht ganz neu. Erstmals vorgeschlagen und experimentell validiert wurde es in den 1990er-Jahren von Nobelpreisträger Carlo Rubbia, der mit seiner Pionierarbeit den Grundstein für die weitere Forschung und Entwicklung der Technologie legte. Seitdem arbeiten Einrichtungen wie das CERN in der Schweiz und das chinesische Institut für Hochenergiephysik daran, die industrielle Machbarkeit der ADS-Technologie voranzutreiben.

Während die ADS-Technologie im Labormaßstab bereits erfolgreich und vielfach demonstriert wurde, ist der Übergang zum industriellen Einsatz mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Das deutsche Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) und der TÜV Nord haben Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen und technischen Machbarkeit eines großtechnischen Einsatzes von ADS geäußert. Das Hauptproblem liegt im Neutronenbeschleuniger selbst, der bislang noch nie für den Dauerbetrieb mit hoher Leistung auf industrieller Ebene gebaut oder getestet wurde. Ebenfalls ungelöst sind Fragen zur langfristigen Materialstabilität unter konstantem Neutronenbeschuss sowie die Herausforderung, die große Anzahl an Neutronen zu erzeugen, die derzeit für eine Transmutation im industriellen Maßstab erforderlich wäre.

Auch regulatorische Herausforderungen erschweren die Einführung der ADS-Technologie erheblich. Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEA) übt strenge Aufsicht über Technologien aus, die mit „proliferationsrelevanten Kernmaterialien“ (PSNM) wie Plutonium-239 und Uran-233 arbeiten. Gerade diese beiden Elemente sind von besonderer Bedeutung für die Herstellung von Atomsprengköpfen.

Gemäß den internationalen Abkommen zur Nichtverbreitung von Kernwaffen erfordert die Nutzung von Atommüll zur Energiegewinnung eine ständige Überwachung, Materialverfolgung und regelmäßige Inspektionen. Darüber hinaus schaffen regionale Institutionen wie EURATOM zusätzliche Regulierungsebenen, die den Einsatz weiter erschweren.

Während ADS-Reaktoren aufgrund ihres unterkritischen Charakters zwar von Natur aus sicherer sind als herkömmliche Kernkraftwerke (AKW), verarbeiten sie dennoch direkt proliferationsrelevante spaltbare Nuklearmaterialien (PSNM) – im Gegensatz zu konventionellen Reaktoren, bei denen solche Stoffe nur als Nebenprodukte entstehen und lediglich einen Bruchteil des gesamten Materials ausmachen. Die Verarbeitung und der Umgang mit hohen Konzentrationen und Mengen von PSNM in ADS werfen erhebliche Proliferationsbedenken auf – insbesondere angesichts der geringen kritischen Masse von Plutonium-239 und Uran-233, also der Mindestmenge, die zur Aufrechterhaltung einer Spaltreaktion erforderlich ist.

Folglich unterliegt ADS strengeren Sicherheitsvorkehrungen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA), die eine umfassende Überwachung, detaillierte Berichterstattung und die konsequente Einhaltung aller Vorschriften erfordern. Im Gegensatz zu konventionellen AKWs, die lediglich mäßig angereichertes spaltbares Material verwenden, verarbeitet ADS deutlich höhere Konzentrationen – was eine lückenlose Kontrolle und die Vermeidung von Missbrauch über den gesamten Transmutationsprozess hinweg notwendig macht. Gerade dieser Umstand kann zu erheblich höheren Regulierungskosten und möglichen Verzögerungen bei der Einführung führen.

Der Übergang von Experimenten im Labormaßstab zur industriellen Umsetzung der ADS-Technologie erfordert die Überwindung erheblicher technischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hürden. Die nächste entscheidende Phase wird in der unabhängigen Begutachtung der SPRIND-Studie bestehen, um sicherzustellen, dass die Argumente zur Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit einer kritischen Prüfung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft standhalten.

Diese Bewertungen werden eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob sich ADS tatsächlich zu einer transformativen Technologie entwickeln kann – oder ob die bestehenden Herausforderungen letztlich die potenziellen Vorteile überwiegen.

Bild: Eine nukleare Transmutation, die Umwandlung eines Atoms von einem Element in ein anderes durch Neutronenbeschuss. © Doctor C, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons
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