Am 19. Dezember 1972 kehrte Apollo 17 zur Erde zurück und beendete das US–Mondprogramm. Mit sechs erfolgreichen Landungen hatten die Vereinigten Staaten ihre technologische Überlegenheit gegenüber der UDSSR demonstriert. Das Wettrennen im All schien entschieden, die Budgets wurden gekürzt, und für ein halbes Jahrhundert wurde es still auf dem Mond. Diese Stille endet nun. China, Russland und die USA sind in einen neuen Wettlauf zum Mond eingetreten. Diesmal geht es nicht nur darum, ihn zuerst zu erreichen, sondern dauerhaft dort zu bleiben. Im Zentrum steht eine alte, neu belebte Idee: die Nutzung von Kernenergie, um den menschlichen Außenposten durch die langen, eisigen Mondnächte am Leben zu halten.
Lukas Barcherini Peter
11 December 2025
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Ein neues Wettrennen im All hat begonnen – diesmal mit dem Ziel, die erste dauerhafte, nuklear betriebene Basis auf dem Mond zu errichten. Der Drang, „der Erste“ zu sein, erinnert stark an die Ambitionen des ursprünglichen Wettlaufs im All. Zwar verbietet der Weltraumvertrag von 1967 zwischen den USA und der UDSSR ausdrücklich, dass Staaten im All Hoheitsansprüche geltend machen. Zugleich lässt er jedoch Spielräume für eine faktische Kontrolle. Eine Mondbasis könnte so unter dem Vorwand von Sicherheit und Nicht-Einmischung faktisch eine Sperrzone schaffen, den Zugang zu nahegelegenen Ressourcen beschränken und Dominanz ausüben – ohne formalen Besitzanspruch.
Die Idee, einen Kernreaktor zur Versorgung von Forschung und Rohstoffgewinnung auf dem Mond zu errichten, reicht bis in die späten 1950er-Jahre zurück. Damals erkannten Ingenieure in den USA und der Sowjetunion, dass Solarenergie allein einen dauerhaften Außenposten nicht tragen kann. Ein Mondtag dauert rund 28 Erdtage – zwei Wochen grelles Sonnenlicht, gefolgt von zwei Wochen eisiger Dunkelheit. Tagsüber steigen die Temperaturen an der Oberfläche auf über 120 °C, während sie in der langen Nacht auf minus 129 °C fallen. Theoretisch ließen sich die Energieüberschüsse des Tages speichern, um die Nacht zu überstehen. In der Praxis jedoch machen die extremen Temperaturunterschiede und Bedingungen ein solches Konzept kaum umsetzbar.
Die besten heute verfügbaren Batterien versagen unter diesen Bedingungen. Bei hohen Temperaturen verlieren sie beim Laden schnell an Leistungsfähigkeit und stellen bei extremer Kälte ihre Funktion vollständig ein. Ein Reaktor hingegen arbeitet unabhängig von Sonnenlicht und Temperatur und liefert kontinuierlich sowohl Strom als auch Wärme.
Im Rahmen des Artemis-Programms der USA, das 2017 angekündigt wurde und die Rückkehr von Astronauten zum Mond zum Ziel hat, unternahmen die Vereinigten Staaten 2022 einen ersten konkreten Schritt in diese Richtung. Die NASA vergab drei Aufträge im Wert von jeweils fünf Millionen Dollar, um einen kompakten Spaltungsreaktor für den Einsatz auf der Mondoberfläche zu entwerfen. Das ursprüngliche Konzept sah ein System mit einer Leistung von 40 Kilowatt (kW) vor, das mindestens zehn Jahre lang eine stabile Energieversorgung gewährleisten sollte.
Im April 2025 kündigte die chinesische Raumfahrtbehörde CNSA an, dass ihre geplante Internationale Mondforschungsstation (International Lunar Research Station, ILRS) – ein Gemeinschaftsprojekt mit Russland und fünfzehn weiteren Staaten des Globalen Südens, das 2021 vorgestellt worden war – im Rahmen der Chang’e-8-Mission ein Kernkraftwerk umfassen werde. Die Fertigstellung der ILRS ist für etwa 2035 vorgesehen. Diese Ankündigung veränderte das Tempo des gesamten Feldes. Bereits einen Monat später bestätigte US-Außenminister Duffy, dass das NASA-Programm beschleunigt werde: Die angestrebte Leistung wurde von 40 auf 100 Kilowatt erhöht, der geplante Einsatzzeitpunkt auf das Jahr 2030 vorgezogen.
In der vorgesehenen Größenordnung sind beide Reaktoren technische Miniaturwunder. Ein herkömmliches Kernkraftwerk auf der Erde erzeugt rund 1000 bis 3000 Megawatt (MW); die geplanten Mondsysteme würden eine ein bis drei Millionen Mal geringere Leistung liefern – und dennoch ausreichen, um eine Basis zu versorgen. Die eigentliche Herausforderung liegt weniger in der Stromerzeugung als in der Bereitstellung. Ein Reaktor mit 100 kW Leistung dürfte rund sechs Tonnen wiegen und damit nahe an die Belastungsgrenzen heutiger Trägerraketen stoßen.
Für die USA könnte Blue Origins Blue Moon MK1 pro Flug etwa die Hälfte dieser Masse transportieren, was zwei Starts erforderlich machen würde. SpaceX’ Starship HLS könnte theoretisch die gesamte Nutzlast in einem Stück befördern – allerdings erst nach einer Serie von acht bis zwölf Betankungsflügen im Erdorbit. Chinas Langer Marsch 10 soll künftig zwischen fünf und acht Tonnen zur Mondoberfläche bringen können; auch hier wären zwei Starts nötig, um Reaktor und Landemodul zu transportieren.
Beide Seiten planen, ihre Basen nahe dem Südpol des Mondes zu errichten. Anders als die äquatorialen Ebenen, auf denen die Apollo- und sowjetischen Luna-Missionen landeten, gibt es in dieser Region Krater, die dauerhaft im Schatten liegen und womöglich enorme Mengen gefrorenen Wassers enthalten. Über Milliarden von Jahren haben Kometen und Asteroiden in diesen ständig kalten Zonen Eis abgelagert – im Gegensatz zu äquatorialen Vorkommen, die unter Sonneneinstrahlung längst verdampft sind. Der Zugang zu diesem eingeschlossenen Wasser könnte der entscheidende Faktor sein, um aus einem temporären Außenposten eine dauerhaft lebensfähige Mondbasis zu machen.
Hier kommt die sogenannte In-Situ Resource Utilization (ISRU) ins Spiel. Mithilfe des vom Reaktor erzeugten Stroms kann Wasser gewonnen, aufbereitet und durch Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten werden. Wasser und Sauerstoff sichern das Überleben; Wasserstoff wiederum bildet in Verbindung mit Sauerstoff Raketentreibstoff. Über Wasser hinaus könnte der Mond weitere strategisch wertvolle Ressourcen beherbergen, darunter Helium-3 – ein potenzieller Brennstoff für künftige Fusionsreaktoren auf der Erde – sowie seltene Erden, Titan und aluminiumreiche Minerale, die für Bauvorhaben und Energieerzeugung von entscheidender Bedeutung sein könnten.
Welche Mondbasis zuerst funktionsfähig sein wird, ist offen. Chinas Chang’e-Programm profitiert zwar von kontinuierlicher politischer Unterstützung, doch über die gemeinsamen Pläne mit Russland ist wenig bekannt, da kaum Details öffentlich gemacht werden. Die für August 2026 erwartete Chang’e-7-Mission, die einen Rover zum Mond bringen soll, könnte jedoch den Weg für eine spätere Reaktorinstallation ebnen. In den USA ist die Lage kaum übersichtlicher. Die Regierung plant, das NASA-Budget für 2026 und 2027 um rund 24 Prozent zu kürzen, was Zweifel am für Mitte 2027 vorgesehenen Start von Artemis III nährt – der ersten bemannten Mondlandung seit 1972. Zudem hat die NASA bislang nicht entschieden, ob Blue Origin oder SpaceX den Lander für die nukleare Fracht bauen soll. Beide Unternehmen kämpfen Berichten zufolge derzeit mit technischen Rückschlägen.
Hinter diesen ingenieurtechnischen Leistungen verbirgt sich eine strategische und geopolitische Dimension. US-Vertreter warnen, ein sino-russischer Außenposten könnte unter dem Vorwand der Sicherheit eine „Sperrzone“ um seine Infrastruktur beanspruchen. Energieerzeugung auf dem Mond ist mehr als bloße Infrastruktur – sie bedeutet Einfluss. Die erste dauerhafte Energiequelle auf dem Mond würde nicht nur wissenschaftliche Arbeit absichern, sondern auch politische Präsenz verankern. Welche Nation sie zuerst etabliert, wird maßgeblich die Regeln der künftigen Mondaktivitäten prägen – vom Zugang zu Eisvorkommen bis hin zu den Grenzen von Kooperation und Konkurrenz.
Für jene Nation, der es als erster gelingt, eine dauerhafte Präsenz auf dem Mond zu etablieren, steht eines fest: Diese oder die nächste Generation von Astronauten, Kosmonauten und Taikonauten wird den ersten außerirdischen, sich selbst erhaltenden Außenposten der Menschheit errichten – ein eindrucksvolles Zeugnis dafür, wie weit unsere Spezies gekommen ist. Langfristig könnten die reichen Ressourcen des Mondes nicht nur entscheidend dafür sein, Leben und Industrie auf seiner Oberfläche zu sichern, sondern auch für die Entwicklung jener Technologien und Erfahrungen, die notwendig sind, um tiefer in das Sonnensystem vorzudringen.






