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Ein aktueller Bericht kommt zu dem Schluss, dass die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) am 7. Oktober 2024 erheblich unvorbereitet auf den Angriff der Hamas waren. Aufgrund einer langen Reihe von Fehlentscheidungen und Fehleinschätzungen ignorierte die IDF bewusst Warnsignale hinsichtlich der militärischen Fähigkeiten der Hamas und deren Absicht, anzugreifen. Infolgedessen war das israelische Militär nicht nur ahnungslos gegenüber dem bevorstehenden Angriff, sondern auch vollkommen unvorbereitet auf eine angemessene Reaktion – mit katastrophalen Folgen.

Ein aktueller Bericht des israelischen Militärs kommt zu dem Schluss, dass die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) durch eine Reihe von Fehlern und Missmanagement in die Niederlage am 7. Oktober 2024 geführt wurden. Der von der Hamas angeführte Angriff war in seiner Kühnheit beispiellos, und das israelische Militär spricht inzwischen offen von einem „kompletten Versagen“, die Bedrohung rechtzeitig zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren – mit fast 1.200 Todesopfern als Folge.

Einer der gravierendsten Fehler der IDF war die völlige Fehleinschätzung der Fähigkeiten und der Einsatzbereitschaft der Hamas, einen umfassenden Krieg zu führen. Die Nachrichtendienste und Analysten der IDF gingen zuvor davon aus, dass die Hamas lediglich zu Angriffen aus der Distanz bereit sei – etwa durch Raketenbeschuss und punktuelle Angriffe – und nicht zu einem groß angelegten Krieg. Damit unterschätzte man jedoch nicht nur die Entschlossenheit der Hamas-Kämpfer und ihrer Führung, sondern auch deren logistische Fähigkeiten und strategische Planung erheblich.

Laut dem Bericht verfügten die israelischen Geheimdienste bereits ab April 2022 über Hinweise auf zunehmende Aktivitäten und Planungen von Hamas-Kämpfern. Dennoch stuften die israelischen Streitkräfte einen Angriff als unwahrscheinlich ein – in der Annahme, dass die Hamas seit der israelischen Militäroperation in Gaza im Jahr 2021, bei der die IDF über 200 Menschen tötete, abgeschreckt sei.

Stattdessen ging die israelische Führung davon aus, dass die Hamas und ihr inzwischen getöteter Anführer Yahya Al-Sinwar stärker an der Verwaltung des Gazastreifens interessiert seien als an einem offenen Krieg mit Israel. Infolgedessen konzentrierte sich die strategische Planung der IDF vorrangig auf die Bedrohung durch die Hisbollah im Libanon.

Zudem ging der israelische Geheimdienst – ebenso wie die politische und militärische Führung – davon aus, dass das berüchtigte Tunnelsystem der Hamas im Laufe der Zeit an Bedeutung und Funktionstüchtigkeit verloren habe, was zu einer Unterschätzung ihrer operativen Fähigkeiten führte. Tatsächlich jedoch hatte die Hamas ihre Tunnelnetze und Angriffswege im Vorfeld des 7. Oktober massiv ausgebaut und damit ihre logistischen und militärischen Kapazitäten erheblich gesteigert. Die lokalen IDF-Einheiten entlang der Grenze zu Gaza, die am 7. Oktober lediglich 767 Soldaten umfassten, wurden daraufhin rasch von einer zahlenmäßig überlegenen und besser vorbereiteten Hamas-Truppe überrannt.

Selbst nach Beginn des Angriffs reagierte die IDF nur schleppend. Ein Überlebender des Angriffs auf den Kibbuz Nahal Oz berichtete, dass die Hamas-Kämpfer längst weitergezogen waren, bevor die ersten Verstärkungseinheiten der IDF eintrafen. Laut der internen Untersuchung der IDF drangen die ersten Hamas-Kämpfer bereits um 6:30 Uhr morgens in den Kibbuz ein; weitere folgten gegen 10:00 und 11:00 Uhr. Die IDF traf jedoch erst um 13:15 Uhr ein – zu einem Zeitpunkt, als sich die Hamas bereits aus dem Gebiet zurückgezogen hatte. Aufgrund dieser verzögerten Reaktion wurden 15 Bewohner von Nahal Oz getötet und 8 weitere von der Hamas als Geiseln verschleppt.

Auch die berüchtigte Luftwaffe der IDF war völlig unvorbereitet – ihre Flugzeuge, Hubschrauber und Einsatzkräfte waren größtenteils in den Norden verlegt worden, um auf einen möglichen Angriff der Hisbollah vorbereitet zu sein. Die Führung der Luftwaffe gab an, dass zum Zeitpunkt des Hamas-Angriffs lediglich eine einzige Drohne zur Überwachung des Gazastreifens im Einsatz war. Zudem sei man davon ausgegangen, dass ein bevorstehender Angriff deutlich erkennbar und rechtzeitig zu identifizieren wäre.

Die Untersuchung stellt zudem fest, dass unmittelbar vor dem Angriff zahlreiche israelische SIM-Karten – von denen bekannt war, dass sie sich in den Händen von Hamas-Kämpfern befanden – gleichzeitig aktiviert wurden. Ein deutliches Warnsignal für einen bevorstehenden Angriff. Dennoch blieb die Führung der IDF überzeugt, es handele sich lediglich um eine Übung, und die Hamas verfüge weder über die Absicht noch über die Fähigkeit, einen groß angelegten Angriff durchzuführen.

Im März 2025 veröffentlichte der israelische Inlandsgeheimdienst Shin Bet seinen eigenen Untersuchungsbericht zu den eigenen Versäumnissen im Vorfeld des Angriffs. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass es dem Dienst nicht gelungen sei, die politische und militärische Führung Israels angemessen über die Vorbereitung und den Beginn des Angriffs zu informieren und zu warnen.

Demnach lagen Shin Bet bereits im Vorfeld konkrete Hinweise auf die Angriffspläne der Hamas vor. Diese Informationen wurden jedoch schlecht verarbeitet und führten weder zu zusätzlichen Schulungsmaßnahmen noch zu einer erhöhten Einsatzbereitschaft – weder beim Shin Bet selbst noch bei den IDF.

Darüber hinaus verweist der Bericht auch auf externe Faktoren, etwa die unzureichende Ausrichtung des Dienstes zur Bekämpfung einer gut organisierten militärischen Kraft wie der Hamas sowie auf die unklare Aufgabenverteilung zwischen Shin Bet und der IDF im Hinblick auf Gaza.

Bemerkenswert ist, dass der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu sich weigert, die Verantwortung für die mangelnde Vorbereitung und Reaktion auf den Einmarsch der Hamas zu übernehmen. Während die öffentliche Opposition gegen Netanyahu nach dem 7. Oktober gewachsen ist, schiebt Netanyahu die Schuld immer noch auf die Führung der IDF und des Geheimdienstes.

Die israelische Zeitung Haaretz berichtete jedoch, dass der inzwischen abgesetzte Direktor des Shin Bet, Ronen Bar, versucht habe, Netanjahu fünf Monate im Voraus vor den Anschlägen zu warnen. Bar erklärte, das Land solle sich auf eine Angriffswelle der Hamas vorbereiten, doch Netanjahu wies die Behauptung zurück und glaubte stattdessen, dass die Hamas wirksam von Angriffen auf Israel abgehalten werde. Infolgedessen war die israelische Führung auf den kommenden Angriff völlig unvorbereitet.

Trotz seiner eigenen Versäumnisse hat Netanjahu die Schuld jedoch auf Bar selbst geschoben. Im März 2025 stimmte Netanjahus Kabinett einstimmig dafür, Bar von seinem Posten als Geheimdienstchef zu entheben. Netanjahu führte das Versagen des Shin Bet bei der Verhinderung der Anschläge vom 7. Oktober sowie undichte Stellen bei den Verhandlungen mit der Hamas als Beweis für Bar’s Unfähigkeit an, Israels Geheimdienst zu leiten. Bar entgegnete jedoch, die Behauptungen seien „nichts weiter als ein Deckmantel für völlig andere, fremde und grundsätzlich ungültige Motive, die darauf abzielen, die Fähigkeit des Shin Bet, seine Aufgabe zu erfüllen, zu stören.“

Selbst die israelische Öffentlichkeit missbilligt die Entlassung Bar’s. In einem kürzlich erschienenen Artikel der Times of Israel sprachen sich 51 % der Israelis gegen die Entlassung Bar’s aus, während nur 32 % sie befürworteten. Außerdem vertrauen 46 % der Israelis Bar mehr als Netanjahu. Diese Ergebnisse fallen in eine Zeit, in der Netanjahus Popularität einen Rekordtiefstand erreicht hat. Laut einer Umfrage des Israel Democracy Institute sind 48 % der Israelis der Meinung, dass Netanjahu die Verantwortung für Israels gescheiterte Reaktion auf den 7. Oktober übernehmen und sofort zurücktreten sollte; weitere 24,5 % sind der Meinung, dass er die Verantwortung übernehmen und zurücktreten sollte, sobald der Krieg vorbei ist.

Die Rolle Netanjahus und seines Kabinetts bei Israels Versagen, den Hamas-Angriff zu verhindern und darauf zu reagieren, wurde bisher noch nicht untersucht. Netanjahu hat sogar gesagt, dass eine solche Untersuchung von vornherein gegen ihn voreingenommen wäre, und behauptet, dass „Bürokraten des Deep State“ versuchen würden, ihn zu untergraben.

Auch wenn dies nicht im jüngsten Bericht steht, wurden die IDF seit den Anschlägen mehrfach beschuldigt, die so genannte Hannibal-Direktive anzuwenden, wobei einige Offiziere deren Anwendung bestätigten.

Bei der Hannibal-Direktive handelt es sich um ein Verfahren der IDF, bei dem Gewalt gegen die eigenen Truppen und alle Personen in ihrer Nähe angewandt wird, um ihre Gefangennahme zu verhindern. Nach den Angriffen vom 7. Oktober haben IDF-Quellen zugegeben, die Hannibal-Direktive angewandt zu haben, was zu mehr zivilen und militärischen Todesfällen geführt hat als sonst.

Schon zu Beginn des Hamas-Angriffs gab die Gaza-Division der IDF die Direktive aus, und Berichten zufolge wurde den Israelis befohlen, „kein einziges Fahrzeug“ nach Gaza zurückkehren zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt wurde bereits von Entführungen berichtet, was bedeutet, dass die IDF-Führung wusste, dass der Befehl die Tötung ihrer eigenen Zivilisten und ihres Personals zur Folge haben würde.

Die durch die Hannibal-Richtlinie verursachten Verluste sind nach wie vor unbestimmt, aber es ist klar, dass die eigenen Verfahren der IDF zu dem massiven Verlust an Menschenleben an diesem Tag beigetragen haben. Trotzdem behaupten israelische Medien und Politiker immer noch, dass die palästinensischen Streitkräfte allein für die 1500 Toten bei den Angriffen verantwortlich seien – eine Behauptung, mit der die 50 000 Toten im Gazastreifen, von denen die meisten Frauen und Kinder sind, gerechtfertigt werden.

Letztendlich war die israelische Erfahrung vom 7. Oktober der Höhepunkt eines jahrelangen Missverständnisses und einer Unterschätzung der Absichten und Fähigkeiten der Hamas. Die Annahme, die Gruppe sei deutlich weniger vorbereitet und weniger ehrgeizig, verleitete die IDF zu einer gewissen Selbstzufriedenheit, da sie glaubten, ihre überlegene Feuerkraft sei abschreckend genug. Die letzten zwei Jahre haben jedoch auch gezeigt, dass die Hamas wesentlich fähiger und einfallsreicher ist, als die meisten je vorausgesagt hätten. Infolgedessen werden Israel und die IDF die Lehren des 7. Oktober wahrscheinlich nie vergessen.

Bild: 11. März 2025, Tel Aviv, Israel: Familien und Unterstützer der 59 verbleibenden israelischen Geiseln, die im Gazastreifen festgehalten werden, protestieren am Begin-Tor des nationalen Hauptquartiers der IDF HaKirya für eine sofortige Freilassung der Geiseln 522 Tage nach ihrer Gefangenschaft und ein Ende des Krieges. Der Protest findet nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 statt, bei dem ein massiver Raketenbeschuss erfolgte und bewaffnete Männer nach Israel eindrangen, was zu einem Massaker an 1.400 Zivilisten und der Entführung von etwa 240 Menschen, darunter Babys, Kinder und Soldaten, führte. Viele Demonstranten machen Netanjahu persönlich dafür verantwortlich, dass er angeblich aus politischen und persönlichen Gründen die Verhandlungen behindert. © IMAGO / ZUMA Press Wire
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