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Chinas 12-Punkte-Friedensplan hat bereits Wirkung gezeigt und die Bedeutung Chinas auf der Weltbühne unter Beweis gestellt. Um den heissen Krieg zu beenden und einen kalten Krieg zu verhindern, fordert der Plan einen sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien.  Diese „mittlere“ Position ist eine Alternative zum weit verbreiteten Blockdenken des Westens. Sie wendet sich gegen Versuche, das Recht des Stärkeren durchzusetzen und propagiert stattdessen eine auf Regeln basierende internationale Ordnung.

Susanne Weigelin-Schwiedrzik, 27. February 2023

Am 24.2.2023 hat China seinen Standpunkt zur Frage des Konflikts in der Ukraine in 12 Punkten der Weltöffentlichkeit vorgelegt. Die Reaktionen auf diesen Vorstoß waren unterschiedlich. Während die USA die in dem Dokument enthaltenen Vorschläge als alt-bekannt und wenig hilfreich zurückwiesen, äußerte sich Präsident Selenskyj unerwartet positiv, indem er grundsätzlich eine chinesische Initiative für die baldige Beendigung des Krieges guthieß. Washingtons Verbündete in Europa nahmen auch von einer grundsätzlichen Ablehnung des chinesischen Planes Abstand. Selbst Deutschlands Außenministerin Baerbock lobte China dafür, daß es seine Verantwortung für die Weltpolitik wahrnehme. Freilich kritisierte sie im selben Atemzug die Gleichsetzung von Täter und Opfer, die sie meinte, in dem chinesischen Papier vorzufinden.

Es ist unübersehbar, daß Chinas Positionspapier alles andere als einen großen Durchbruch in der Sache beinhaltet und dennoch entfaltet es jetzt schon einige Wirkung. Die Äußerungen sind überwiegend Wiederholungen von längst Gesagtem. Auch enthält der Plan keine konkreten Schritte in Richtung auf einen Waffenstillstand. Wer erwartet hatte, daß die VR China sich erst dann einmischen würde, wenn die Zeit danach schreit, fand sich getäuscht, da augenblicklich nichts darauf hinweist, daß die Kriegsparteien an ihrer jeweiligen Fähigkeit zweifeln, das Blatt zu wenden und einen Sieg zu erringen. Selenskyj betonte am 25.2.2023, derzeit bestünde keine Möglichkeit, mit Moskau Gespräche aufzunehmen.

Warum hat die Führung der VR China dennoch in dieser Situation das Positionspapier veröffentlicht? Eine  Analyse der zwölf Punkte zeigt, daß Pekings Positionspapier an den Westen gerichtet ist. China merkt, daß sich in Europa stärker als in der Vergangenheit Zweifel an der Wirksamkeit der Sanktionspolitik mehren, daß die Bereitschaft der Bevölkerung, die Ukraine zu unterstützen, in manchen Ländern abnimmt und daß sich in den USA Donald Trump an die Spitze einer Anti-Kriegs-Bewegung stellt. In dieser Situation versucht Peking, die Ukraine zu einer positiven Haltung bezüglich der Beteiligung Chinas an zukünftigen Gesprächen über die Beendigung des Krieges zu bewegen. Es scheint in der Haltung der USA, der Ukraine und der NATO das Haupthindernis für eine zukünftige Rolle Chinas im Friedensprozeß zu sehen. Gleichzeitig bietet das Papier wenig Anknüpfungspunkte für Rußland. Trotzdem hat Putin sich positiv zur chinesischen Initiative geäußert.

Die Unterschiede zwischen früheren Äußerungen der VR China zur Frage der politischen Lösung der Ukraine-Krise und dem, was nun im Positionspapier des chinesischen Außenministeriums steht, sind minimal, wenn auch nicht zu übersehen. China schreibt sich selbst eine wesentlich aktivere Rolle zu und verlangt die unmittelbare Aufnahme von Gesprächen. Eine militärische Lösung des Konfliktes sei nicht möglich. Es betont, daß die Interessen der Zivilbevölkerung geachtet und die Sicherheit der Atomkraftwerke gewährleistet werden müßten, beides Forderungen, die bisher nicht zum Standardrepertoire der Äußerungen des chinesischen Außenministeriums gehörten.

Daß China um die Lage der Weltwirtschaft besorgt ist, zeigen die beiden Forderungen aus dem eher wirtschaftlichen Bereich. Neben der Aufhebung der Sanktionen werden die Garantie für die Aufrechterhaltung von Lieferketten und der Beginn von Planungen für den Wiederaufbau der Ukraine angesprochen. Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Annahme, daß China aus der regelbasierten internationalen Ordnung ausscheren wolle, betont das Papier die Notwendigkeit, die Krise in der Ukraine mit politischen Mitteln auf der Grundlage der von der UNO festgelegten Regeln zu lösen. Es wendet sich zugleich gegen Versuche, in der internationalen Ordnung das Recht des Stärkeren durchzusetzen. Die „mittlere Position“, die China seit Beginn des Krieges einnimmt und die im Westen vielfach auf Unverständnis stößt, wird wiederholt und offensiv das „Kalte-Kriegsdenken“ und die Wiedererrichtung von Blöcken in der internationalen Ordnung kritisiert.

Es war notwendig, daß China in diesem Papier endlich seine Position deutlicher als bisher erklärt. Seit dem 20.Parteitag der KPCh im Oktober 2022 hat sich die chinesische Staatsführung einer Politik der Ambivalenz und Intransparenz befleißigt. Da alternative Stimmen, insbesondere jene Personen in der chinesischen Parteiführung, die bisher gute Beziehungen zu den USA pflegten, aus der obersten Führung ausgeschlossen wurden, mußte nun Xi Jinping in einer Person die unterschiedlichen Optionen der chinesischen Außenpolitik verkörpern. Dieses Vorgehen führte dazu, daß in der Analyse der chinesischen Politik eine große Unsicherheit aufgetreten ist. Dabei muß man wohl verstehen lernen, daß die pro-westliche und die pro-russische Option in der chinesischen Außenpolitik koexistieren und sich gegenseitig ausbalancieren. So erklärt sich auch, warum das Positionspapier Rußland wenig zu bieten hat und Wang Yi trotzdem nach Moskau reist, um Putin der chinesischen Freundschaft zu versichern.

Obwohl China wenig Neues geboten hat, kann sein Ziel als erreicht gelten. Mit der Veröffentlichung des Papiers und Wang Yis Europareise hat es sich massiv in das Geschehen eingebracht und gezeigt, daß es als globaler Akteur ernst genommen werden muß. Zugleich hat es mit seiner „mittleren“ Position eine Alternative zu dem augenblicklich weit verbreiteten Lagerdenken aufgezeigt. Dies wird nicht ohne Wirkung bleiben, denn sowohl in Rußland als auch im so genannten Westen übersteigt das Festhalten am Blockdenken zunehmend die Möglichkeiten.

Bild: Der chinesische Außenminister Wang Yi, links, wird von Botschafter Wolfgang Ischinger während der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) im Hotel Bayerischer Hof am 18. Februar 2023 in München, Deutschland, interviewt. © IMAGO / ZUMA Wire
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