Die Friedensgespräche zwischen der Ukraine, den USA und Russland stecken in einer Sackgasse. Der sich ausweitende Korruptionsskandal, der inzwischen die gesamte Regierung von Präsident Selenskyj erfasst, kommt für die Ukraine zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Präsident Trump hat unmissverständlich klargestellt, dass die Ukraine der Nato nicht beitreten wird, und mögliche US-Sicherheitsgarantien auf unbestimmte Zeit vertagt. Ohne die Unterstützung der Vereinigten Staaten droht der Ukraine der strategische Zusammenbruch. Könnte ein neutraler Status der Ukraine – nach dem Vorbild der österreichischen Neutralität – den Friedensprozess wieder in Bewegung bringen?

Neutralität war ein Konzept, das es ermöglichte, die Machtblöcke des Kalten Krieges auf Distanz zu halten. In gewissem Maße garantierte sie die politische Unabhängigkeit neutraler Staaten. Diese Länder traten keinen Militärbündnissen bei, orientierten sich in ihren Werten und Wirtschaftssystemen jedoch am Westen. In Mitteleuropa behielt nach 1955 allein Österreich einen neutralen Status. Gleichwohl wurden Überlegungen entwickelt, inwiefern das österreichische Modell der Neutralität als Lösung für andere ungelöste Konflikte dienen könnte.

Bereits 1954 und 1955 hatten die USA eine grundsätzlich positive Haltung zur Neutralität entwickelt. Ihre internationale Bedeutung wurde nicht verworfen, sondern im Hinblick auf Praktikabilität, Eignung, Dauerhaftigkeit und Solidarität geprüft. Neutrale Staaten galten dabei nicht als Objekte einer dritten Macht, die zwangsläufig in eine kommunistisch-sowjetische Abhängigkeit geraten würden. Zugleich war man sich in Washington bewusst, dass Neutralität sowjetischen Sicherheitsinteressen entgegenkommen konnte.

US-Präsident Dwight D. Eisenhower erklärte 1956: „Heute gibt es einige Staaten, die sich selbst als neutral bezeichnen. Das bedeutet nicht zwangsläufig, wie so oft gesagt wird, dass sie zwischen richtig und falsch oder zwischen anständig und unanständig neutral wären. Diese Staaten verwenden den Begriff ‚neutral‘ in Bezug auf ihre Haltung gegenüber militärischen Bündnissen. Und ich möchte betonen, dass ich keinen Grund sehe, warum dies immer zu unserem Nachteil sein sollte.“

Eisenhowers Haltung ist im Kontext seiner Bemühungen der 1950er-Jahre zu sehen, mehr US-Truppen aus Europa abzuziehen und die Europäer stärker für ihre eigene Verteidigung in die Pflicht zu nehmen. Aus diesem Grund betonte die US-Regierung wiederholt, dass neutrale Staaten bewaffnet sein müssten. Präsident Eisenhower war es zudem wichtig, dass die Neutralität Österreichs „bewaffnet“ sei, damit kein militärisches Vakuum entstehe.

Im Mai 1955 äußerte sich Eisenhower zur Frage der Neutralisierung Österreichs wie folgt:

„Und ich möchte Folgendes sagen: Es scheint eine wachsende Vorstellung zu geben, dass quer durch Europa von Norden nach Süden eine Reihe neutralisierter Staaten entstehen könnte. Doch man sollte sich erinnern: Der Vertrag über die Neutralisierung Österreichs besagt nicht, dass Österreich entwaffnet wird. Es handelt sich nicht um ein Vakuum, um kein militärisches Vakuum. Das Modell ist die Schweiz. Die Schweiz ist verpflichtet, ihre eigene Neutralität aufrechtzuerhalten, und ich bin überzeugt, dass sie bis zum Äußersten für sie kämpfen würde. Diese Form der Neutralität unterscheidet sich grundlegend von einem bloßen militärischen Vakuum.“

Eisenhower stimmte der österreichischen Neutralität nur unter der Voraussetzung zu, dass Österreich in der Lage sei, diese Neutralität selbst zu verteidigen. Zwischen 1955 und 1959 unterstützten die USA daher den Aufbau des österreichischen Bundesheeres mit 80 Millionen US-Dollar sowie anschließend mit verschiedenen Ausbildungsprogrammen (National Security Council, 1960). Die Sowjetunion hatte offenbar keine Einwände dagegen, dass Österreichs Neutralität durch eine starke Armee abgesichert wurde.

Dies war eine klare Zusage, die vier Jahre später bekräftigt wurde. In einem Dokument des Nationalen Sicherheitsrats aus dem Jahr 1960, das Präsident Eisenhower am 18. Januar 1961 genehmigte – zwei Tage vor der Amtseinführung John F. Kennedys –, wurde als Ziel formuliert, „Österreichs Unabhängigkeit und Stabilität zu wahren und es zu ermutigen, seinen prowestlichen Kurs fortzusetzen sowie Druck und Erpressung durch den Kommunismus zu widerstehen“. Eines der zentralen politischen Ziele bestand darin, jede Verletzung der territorialen Integrität Österreichs oder seiner Neutralität als ernsthafte Bedrohung des Friedens zu betrachten.

In Mitteleuropa gab es wiederholt Vorschläge zur Neutralität. George F. Kennan, der nach 1947 als US-Botschafter in Moskau das Konzept der Eindämmungspolitik (Containment) maßgeblich entwickelte, sprach sich 1956 und 1957 für eine Neutralität Mitteleuropas sowie für ein vereinigtes Deutschland aus. Er hielt die Teilung Europas und Berlins nicht für dauerhaft tragfähig. 1967 äußerte er sich dazu wie folgt:

„Ich habe stets die Auffassung vertreten, dass die Befreiung Osteuropas aus der unnatürlichen Abhängigkeit, in der es in den vergangenen Jahren gehalten wurde, erleichtert würde, wenn die Trennlinie zwischen den amerikanischen und russischen Militärblöcken nicht allzu stark betont würde und wenn die neutrale Zone zwischen ihnen ausgeweitet statt verkleinert würde.“

Kennan begrüßte, dass Schweden dem Atlantikpakt NATO nicht beigetreten war, dass die Schweiz ihre traditionelle Neutralität bewahrt hatte, dass Österreich neutral geworden war und dass sich Jugoslawien weder dem Westen noch dem Osten angeschlossen hatte. Von neutralen Staaten könne nicht erwartet werden, „dass sie versprechen, uns im Kriegsfall zu verteidigen, sondern vielmehr, dass sie ihre eigenen Interessen klar erkennen und sich jedem unzulässigen Druck energisch widersetzen, gleichgültig, von welcher Seite er kommt, im Krieg wie im Frieden“.

In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre setzte parallel zur Neutralitätsdebatte auch eine Diskussion über „Disengagement“  (also den schrittweisen militärischen Rückzug und die Entflechtung gegnerischer Truppen) ein, eingebettet in verschiedene Konzepte kollektiver Sicherheit. Ziel war es, eine Zone gemeinsamer Sicherheit zu schaffen und die Konfrontation der Machtblöcke zu verringern. Diese Vorstellungen kollektiver Sicherheit wurden durch den Vorschlag einer „atomwaffenfreien Zone“ ergänzt. Österreich wurde als neutraler und nichtnuklearer Staat damit auch zu einem Vorbild für den sogenannten Rapacki-Plan.

Vor diesem Hintergrund unterbreitete der polnische Außenminister Adam Rapacki in den Jahren 1957 und 1958 Vorschläge für atomwaffenfreie Zonen, die Polen, die Tschechoslowakei, die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland umfassen sollten (Österreich war bereits atomwaffenfrei). In diesem Gebiet sollten weder Kernwaffen hergestellt noch gelagert werden. Zugleich wäre auch die Stationierung von Einrichtungen zu ihrem Einsatz sowie der tatsächliche Gebrauch von Atomwaffen in dieser Zone verboten worden.

Der Rapacki-Plan diente seinerseits als Vorbild für verschiedene Vorschläge zu atomwaffenfreien Zonen in Europa. So schlug etwa die Palme-Kommission 1982 eine kernwaffenfreie Zone auf dem „Schlachtfeld“ Mitteleuropas vor, die sich von den baltischen Staaten bis zum Balkan erstrecken könnte.

Der atomwaffenfreie Status Österreichs ist im Staatsvertrag von 1955 verankert. Darin heißt es:

„Österreich wird weder besitzen noch herstellen noch versuchen zu verwenden:
a) irgendeine Atomwaffe,
b) irgendeine andere schwerere Waffe, die jetzt oder in der Zukunft als Mittel für Massenvernichtungen verwendbar gemacht werden kann und als solche durch das zuständige Organ der Vereinten Nationen bezeichnet worden ist …“

Mit Blick auf Österreich und mögliche Lösungsansätze für den russisch-ukrainischen Krieg stellt sich die zentrale Frage, ob Neutralität mit einer künftigen sicherheitspolitischen Ordnung für die Ukraine vereinbar ist. Nach dem Krieg dürften die politischen Grenzen – wie einst in Deutschland und Korea nach dem Zweiten Weltkrieg – weitgehend dort verlaufen, wo die Armeen stehen. In einem möglichen Friedensabkommen kann Präsident Putin kaum erwarten, sowohl alle von Russland kontrollierten Gebiete zu behalten als auch die Ukraine dauerhaft vom Nato-Beitritt auszuschließen. Präsident Selenskyj wiederum wird voraussichtlich weder einen vollständigen russischen Rückzug noch eine Nato-Mitgliedschaft erreichen. Zugleich müssen die Nato-Staaten anerkennen, dass militärische Bündnisse allein keine absolute Sicherheit für die Ukraine garantieren können.

Ein Modell nach dem Vorbild der österreichischen Neutralität könnte einen Kompromiss darstellen: einen schrittweisen Rückzug Russlands aus besetzten Gebieten im Austausch gegen die Zusage der Ukraine, auf eine Nato-Mitgliedschaft und die Stationierung ausländischer Truppen zu verzichten, bei gleichzeitiger Wahrung der Perspektive einer EU-Mitgliedschaft.

Bild: Fotomontage. Nach der Ankündigung neuer Gespräche über die Ukraine mehren sich Hinweise, dass Budapest als möglicher Ort für ein Treffen der Präsidenten der Ukraine und Russlands unter Beteiligung von Donald Trump dienen könnte. Abgebildet sind Wolodymyr Selenskyj, Donald Trump und Wladimir Putin; im Hintergrund das ungarische Parlament. 20. August 2025. © IMAGO / Sven Simon
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner